Umsiedlung 1939 von Josefsberg nach Lodz/Petershagen

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Volker Paarz
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Umsiedlung 1939 von Josefsberg nach Lodz/Petershagen

Beitrag von Volker Paarz »

Persönlicher Bericht meiner Mutter Else Paarz, geb. Walther vom 18.Mai 2010:
"Ich wurde am 22. Dezember 1926 in Josefsberg/Galizien im Haus Nr. 117 am Dorfrand geboren. Meine Mutter Mathilde Walther, geb. Rind starb bereits 1936 an doppelter Lungenentzündung,als ich gerade 9 Jahre alt war. Mein Bruder Adolf und ich kamen dann zu meinen Großeltern. Fünf Jahre später mussten wir aus Josefsberg raus und umgesiedelt werden, weil die Russen zu uns kamen. 1939/40 sind wir dann mit Pferd und Wagen nach Drohobytsch zur Bahn gebracht worden. Wir sind in Viehwaggons dann nach Przemysl gebracht worden. Die Männer kamen dann mit Pferd und Wagen mit Hab und Gut nach. Von da sind wir wieder nach Lodz gebracht worden in dieser Kälte, ich meine das ganze Dorf mit Pferd und Wagen. Es sind viele alte Leute unterwegs gestorben. In Lodz war unserem Lager gegenüber ein Judenghetto. Ganz hohe Zäune, und die mussten mit dem gelben Judenstern rumgehen. Die ausgemergelten Juden bettelten am Zaun um etwas zu Essen. Von meinem Fenster aus konnte ich die Brutalität der Wachen im Ghetto sehen. Da waren wir ziemlich lange in dem Lager. Dann kamen wir noch in weitere Lager. Weitere Stationen waren Wartha, Waldhorst und Berlinchen. Übernachtet wurde in Bauernscheunen. Viele Alte starben und Kinder gingen verloren. Am Ende der Odyssee wurden wir nach 9 Monaten Flucht in Petershagen, Kreis Znin im Warthegau bei Elsenau einquartiert in Häusern von Polen, die ihre Häuser verlassen mussten (Hitler/Stalin-Pakt). Die Polen kamen uns in ihrem Treck entgegen. Die Josefsberger sind dann in verschiedene Kreise verteilt worden. Mein Vater Philipp Walther hat dann eine Frau mit zwei Kindern geheiratet. Wir wussten gar nicht, wo die Josefsberger alle angesiedelt worden sind. 5 Jahre später mussten wir wieder flüchten in dieser Kälte.Es war schon eine Tragödie. Man kann es gar nicht bechreiben, wie schlimm das war. Wir kamen dann über die Oder über Frankfurt/Oder bis nach Wustrau bei Neuruppin. Mein Vater Philipp und mein Bruder Adolf wurden kurz vor Ende des Krieges nach Kiew zum Militär eingezogen und sind seitdem in Russland verschollen. Am 25. April 1945 bin ich vor dem Einmarsch der Russen in Neuruppin aus Angst vor Vergewaltigung und Verschleppung in den Osten auf einen Treckwagen mit aufgesprungen und ohne meine Familie über Perleberg und Dömitz mit amerikanischen Booten über die Elbe in den Landkreis Lüchow- Dannenberg geflüchtet. Wir Flüchtlinge wurden auf die Dörfer aufgeteilt, und ich landete am 3. Mai 1945 im Rundlingsdorf Saaße bei Lüchow im Wendland auf der Milchbank. Die Familie Schulz, genannt "Peterschulz" wegen der vielen Schulzen im Dorf, nahm mich auf. Ich habe bis 1949 im Haushalt geholfen und die drei Kinder der Familie betreut. 1949 habe ich kurz vor der Geburt der ersten von fünf Töchtern und zwei Söhnen meinen Verlobten Hermann Paarz geheiratet und bin in das alte, 1822 errichtete Vierständerfachwerkhaus eingezogen.1946 bin ich noch einmal über die "grüne Grenze" bei Schmarsau zurück nach Wustrau gefahren,um meine Stiefeltern und Geschwister zur Flucht in den Westen zu bewegen. Diese wollten aber nicht und haben sich später im Raum Halle angesiedelt.Wir haben die vielen Verwandten in der DDR regelmässig besucht und mit westlichen Lebenmitteln wie Kaffee und Schokolade versorgt. Wir lebten die ersten Jahre von einer kleinen Landwirtschaft mit einer Kuh, ein paar Schweinen und Federvieh sowie sechseinhalb Morgen Land. Mein Leben war anstrengend und entbehrungsreich, aber doch schön in der neuen Heimat in der Familie und im Dorf mit meinen Mann und sieben Kindern und zahlreichen Enkeln. Aber meine Heimat Gaizien bleibt immer in meinem Herzen. "

Für die Richtigkeit aller Angaben und Zeiten übernehme ich aufgrund des hohen Alters meiner Mutter keine Gewähr.Ich habe mein Elternhaus 1986 mit meiner Frau übernommen und umgebaut mit Altenteilwohnung. Mein Vater Hermann Paarz starb 1996 an Krebs. Meine Mutter Else hat ihn noch um viele Jahre überlebt und noch viele Reisen unternommen, auch nach Polen und Russland (Petersburg). Ihre Heimat in Galizien hat sie nie wieder betreten. Sie starb 2013 ebenfalls an Krebs. Wir haben sie bis zum Ende in unserem Haus gepflegt, so dass sie ihr gewohntes Umfeld nicht noch einmal verlassen musste.Ich hatte 2010 die Möglichkeit, als Elektroniker für meine Firma für 14 Tage in Lutzk/Ukraine zu arbeiten. Am Wochenende habe ich dann das Heimatdorf meiner Mutter, Josefsberg, besuchen können. Den Eindruck von dem teilweise von den Polen/Russen zerstörten, ärmlichen Dorf werde ich nicht vergessen. Die Kinder ziehen heute noch mit Blecheimern das Wasser aus den Brunnen, die meine Vorfahren in dem Dorf gebaut haben. Ich hoffe, der unselige Krieg der Russen gegen die Ukraine ist bald vorbei, so dass die vielen Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurück kehren können und ich noch einmal die Gelegenheit habe, nach Josefsberg und in die schöne Stadt Lemberg zu reisen.
Volker Paarz

Sören Eue
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Re: Umsiedlung 1939 von Josefsberg nach Lodz/Petershagen

Beitrag von Sören Eue »

Sehr geehrter Herr Partz,

ihren Bericht kann ich aus den Erzählungen meiner Oma, Karolina Wolf, geb. Reichert , geb. 1909 in Josefsberf/Galizien und verstorben 1992 in Wustrau bei Neuruppin so bestätigen.
Meine Mutter, Emma Karoline Eue, geb. Wolf am 16.12.1937 in Josefsberg, meine Tante Ernestine Wolf, geb. 16.12.1939 sowie mein Onkel Adolf Wolf , geb. 1941 in Petershagen haben diese Erinnerungen, so weit diese noch vorhanden sind, ebenso bestätigt.

Meine Oma heiratete damals 1929 den Wolf, der später von der Familie getrennt wurde und 1946 bei einem Arbeitsunfall in Düsseldorf verstarb.
Deshalb blieb die Familie in Wustrau und meine Mutter lebt heute noch dort. Auch die von Ihnen erwähnte Familie Thomas war lange Zeit in Wustrau wohnhaft.

Ein teil der Josefsberger zog in den Bereich Halle nach Schwoitsch, heute Gemeinde Kabelsketal. Dort hielt sich meine Mutter während des Studiums in Halle / Saale oft auf und traf auf meinen Vater, der aus Dieskau (ca. 7 km) entfernt kam.

Sören Eue

Volker Paarz
Beiträge: 12
Registriert: Mittwoch 16. März 2022, 17:28

Re: Umsiedlung 1939 von Josefsberg nach Lodz/Petershagen

Beitrag von Volker Paarz »

Lieber Sören Eue. Das ist ja interessant. Schade, dass ich die Informationen noch nicht eher hatte. Dann hätte ich ihre Mutter in Wustrau besuchen können. Vielleicht sind wir sogar verwandt. Mein Urgroßvater Philipp Walther, Josefsberg Nr. 117, gleichnamig mit meinem Großvater Philipp Walther,"Dr.Niemiec" war verheiratet mit Elisabetha Walther, geb. Wolf, wohnhaft in Josefsberg Nr. 73. Auf dem Ortsplan von Josefsberg vom Januar 1939, erstellt vom Cousin meiner Mutter, Poldi Rindt, im Januar 1957, steht bei Hausnr. 73: Edmund Wolf, "Schulwolwe". Diese Spitznamen stammen von den schwäbischen Wurzeln unserer Vorfahren.
Gruß, Volker Paarz

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